Kippt die Börsenkurse aus den Nachrichten

Es begann vor etwa 15 Jahren. Das Internet läutete die digitale Revolution ein, und mit ihr die ganz grosse Börsenbonanza am Fin de Siècle. Plötzlich wollten alle an die Börse. Kaum existierte eine Businessidee mit Bitgeruch auf mehr als einem Bierdeckel, klopften auch schon die Banken an die Tür, das Baby via Börsengang zu vergolden. Jeder sprach vom IPO, und Harald Schmidt kaufte in seiner Show Aktien am Neuen Markt, deren Kurse sich Abend für Abend verdoppelten. Es war ein Alptraum für Leute, die sich im Leben nichts entgehen lassen wollten.

Bis dahin besassen nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung Aktien, der Rest liess seit dem Börsenkrach 1929 die Finger davon. Das änderte sich nun, denn niemand wollte sich die märchenhafte Geldvermehrung durch die Lappen gehen lassen. Deshalb fingen die Radio- und TV-Stationen an, die Kurse der Hauptindizes fix im Nachrichtenprogramm zu verankern. Am Anfang gehörten die „Neuen Märkte“ noch dazu. Dann kamen die Börsenkracher 2000 und 2001, und man beschränkte sich auf Nikkei, Dow Jones, und DAX beziehungsweise SMI. Die Ausschläge nahmen ab, ebenso der Prozentsatz der Aktionäre an der Bevölkerung. Doch die Kursnachrichten blieben.

Parallel dazu eroberte der Auslöser für den einstigen Börsenboom unsern Alltag. Das Internet wurde Teil der Arbeitswelt, und Realtime-Informationen erreichen die Dienstleistungsgesellschaft im Sekundentakt. Auch die Börsenkurse. Seit Jahren wartet kein Mensch mehr auf die volle Stunde, um der Stimme zu lauschen, die da verkündet, wo der Index steht.

Deshalb stellt sich die Frage, was genau mit den nervigen Kursdurchsagen bezweckt werden soll. Muss man es als politisch korrektes Element betrachten für all jene, die am Aktientopf genascht haben, doch von der heutigen Medienwelt die Finger lassen wollen und deshalb auf die Traditionskanäle setzen? Gibt es tatsächlich Anleger, deren Kaufentscheide vom Stand eines Leitindexes abhängt, der bei dessen Verkündung bereits wieder Geschichte ist? Man stelle sich den Anleger vor, wie er die Nachrichten schaut, und sagt: „Ups, der Dow ist 0.2 im Minus, jetzt aber hoppla raus damit!“ Oder ist es nur Folklore, jetzt, da die Kurse unser aller Schicksal bestimmen?

Es genügt vollauf, die Kurse nur dann in den Nachrichten zu nennen, wenn sie es verdient haben, d.h., wenn’s wieder mal gekracht hat. Auf die täglichen Auf und Abs kann jeder verzichten, denn sie bedeuten so viel wie mittlerweile deren Verkündung, nämlich nichts.

Pseudologik im Steuerstreit

Dieser Tage liest man viel über die komplexen Verhandlungen der Schweiz mit Deutschland und anderen Staaten über den Umgang mit unversteuerten Vermögen. Die Spannweite der Standpunkte ist dabei breiter, als man im Glauben an Rechtsstaatlichkeit gemeinhin annehmen würde. Denn die global existierenden Steueroasen stellen die Schweiz vor die Frage, ob man sich mit einer moralisch wünschbaren „Weissgeldstrategie“ nicht über den Tisch ziehen lässt von Staaten, welche hinsichtlich ihrer eigenen Schwarzgeldmagnete beide Augen zudrücken.

Natürlich wären für die Verteidigung der Reste des Bankgeheimnis Aliierte von grossem Vorteil. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Deshalb bleiben nur die Verhandlungen, begleitet von einem weiteren Prestigeverlust der heimischen Finanzbranche. Deren Mitarbeitende finden sich derweil aufgerieben zwischen der Verteidigung ihrer Zunft und einem kollektiven Mea Culpa.

Als Verteidigungsargument hört man dabei immer wieder die Behauptung, dass schliesslich die Schweiz als ganzes von dem vielen Schwarzgeld profitiert hätte. Diese etwas kleinlaute Rechthaberei entpuppt sich bei genauem Hinsehen aber als ziemlich unsachlich. Aus folgenden Gründen:

Erstens impliziert diese Idee, dass der schweizer Finanzplatz nur deshalb so prosperieren konnte, weil er Jahr für Jahr die hinterzogenen Gelder wie ein Schwamm aufgesogen hat. Und dass er ohne diese Gelder niemals auch nur annähernd so gross geworden wäre. Diese These widerspricht gänzlich der etablierten Auffassung, dass der Schweizer Finanzplatz auf Kompetenz und Vertrauen fusst. Als Vertreter des ehrwürdigen Bankenplatzes muss man dieses Argument folglich als geradezu ketzerisch zurückweisen.

Zweitens suggeriert die Idee, dass die Schweiz als Land enorm profitiert hätte von jenem Geld, welches durch die Verwaltung unversteuerter Vermögen verdient wird. Es mag ja sein, dass einige Schweizer Gemeinden ihren Steuerfuss auch dank der Kumulation einkommensstarker Neuzuzüger aus der Steueroptimierungsbranche senken konnten. Für die überwältigende Mehrheit der Normalverdiener machte dies jedoch kaum einen Unterschied. Leben diese doch weder in diesen Gemeinden, noch würde es bei ihrer Einkommensklasse wirklich einen Unterschied machen, wenn sie es doch täten. Die breite Bevölkerung nun in Geiselhaft zu nehmen für den Flurschaden einer Nischenbranche ist deshalb einfach nur schäbig.

Womit mir beim dritten Grund angekommen sind, weshalb dieser Argumentation mit Stirnrunzeln zu begegnen ist: Die Idee, dass man nun nicht so empört tun soll, als hätte man nichts gewusst, und gefälligst die Reihen schliessen soll zur Verteidigung gegen die Kräfte, welche den Finanzplatz torpedieren wollen, weil man ja auch einen Nutzen daraus zog über all die Jahre – diese Idee entspringt einem autoritären Reflex, nach dem das Recht auf Widerspruch verwirkt ist mit dem Moment, in dem man zum Nutzniesser eines Sachverhalts wird. Nach dieser Logik wäre es nur Veganern erlaubt, die Massentierhaltung zu kritisieren. Es ist ein vormodernes Verständnis menschlicher Abhängigkeiten, das hier zum Vorschein kommt. Beiss nicht die Hand, die dich füttert.

Für einen autoritären Stadtstaat mögen solche Untertanen hilfreich sein. Noch sind wir aber nicht soweit in der Schweiz. Trotz oder wegen des Bankgeheimnis.

Goldman Sachs im Spätkapitalismus

Es gab doch einigen Aufruhr dieser Tage, nachdem Greg Smith seine angestaute Abscheu über seinen ehemaligen Arbeitgeber Goldman Sachs in der New York Times veröffentlichte. Er beklagt den Niedergang der Firmenkultur, zersetzt von rücksichtslosem Profitstreben, das die Kunden zu nützlichen Idioten im Kampf um die fettesten Erträge macht. Eine Pervertierung der Daseinsberechtigung einer Firma. Oder die Quintessenz der „Shareholder Value“ Ideologie?

In jedem globalen Unternehmen gibt es eine verlorene Unschuld, die irgendwann zum Vorschein kommt. Es ist die Schattenseite des Wettbewerbs, welcher für unsern Wohlstand so bestimmend ist. Stichworte der jüngsten Vergangenheit: Apple/Foxconn, Nestle/Bottled Life. Der Weg zu mehr Gewinn führt über die selektive Missachtung ethischer Standards.

Und wie gehen die Angestellten mit diesem unangenehmen Faktum um, wenn sie nicht wie Greg Smith der Finanzbranche den Rücken kehren? Sie schweigen. Jedes Grossunternehmen kultiviert seine Omerta, welche wie ein unausgesprochenes Gesetz die Menschen davon abhält, morgens im Büro die neueste Negativschlagzeile ihrer Firma zu diskutieren.

Die Empörung über Goldman Sachs rührt deshalb nicht nur aus der Verurteilung moralischer Verkommenheit. Sie speist sich auch aus der Projektion. Smith’s Anklage erlaubt es uns, die Entrüstung über kapitalistische Auswüchse auszudrücken, wozu uns in Bezug auf die eigene Firma meist der Mut fehlt. Denn ein bisschen von Goldman Sachs steckt in jedem Unternehmen.

Da ist der Versicherungskonzern, der seinen Kunden die Autoversicherung nur im Dreijahresvertrag anbietet, und damit ein kurzfristiges Abspringen zur günstigeren Konkurrenz verhindert.

Oder der Finanzdienstleister, der mit dem Aufkommen der Gratiskreditkarte zwar auch eine solche ins Angebot nimmt, sie jedoch nicht an die grosse Glocke hängt, um die sprudelnde Gebührenquelle nicht vorzeitig versiegen zu lassen.

Im globalen Wettbewerb wird nicht mit Samthandschuhen Geld verdient. Goldman Sachs mag zur Zeit den Gipfel der Niedertracht repräsentieren. Sie ist jedoch nicht die einzige Firma, für welche gilt: Erst kommt der Bonus, dann die Moral.

Pampers und die Impfung

Procter & Gamble möchte Gutes tun. Oder besser: Procter & Gamble möchte, dass wir Konsumenten denken, sie würden Gutes tun. Das ist ein kleiner Unterschied, aber für ein gewinnorientiertes Unternehmen nicht weiter redenswert.

Also hat sich Procter & Gamble dazu entschieden, für jedes verkaufte Paket „Pampers“ den Betrag einer Impfdosis an Unicef zu überweisen. Eine gute Tat. Dadurch wurden Millionen von Frauen und Babies vor Tetanus bewahrt. Nur Zyniker können an dieser gelungenen Paarung von Corporate Responsibility und Charity rummäkeln. Oder nicht?

Leider gibt es hier einen Aspekt, welcher der noblen Aktion ein gewisses Gschmäckle verleiht. Es ist die Idee von Pampers, Unicef nicht generell zu unterstützen – unabhängig von der Anzahl verkaufter Windeln - sondern nur pro verkaufter Packung. Damit machen sie den Konsumenten zum Mitverantwortlichen bei der Krankheitsbekämpfung. Denn der Umkehrschluss lautet: kaufen Sie das Konkurrenzprodukt, haben Sie mutwillig auf die Wohltätigkeit verzichtet, die Pampers Ihnen ermöglicht hätte.

Sie missbrauchen sozusagen unser Bedürfnis, das Elend in der Welt zu bekämpfen, um ihren Umsatz zu bolzen. Sie nehmen mein Gewissen in Geiselhaft, in dem sie mich auf ein unerträgliches Faktum des 21. Jahrhunderts hinweisen – die medizinisch prekären Zustände in weiten Teilen der Welt – und bieten mir gleichzeitig Absolution durch den Kauf ihres Produktes. Als ob ein perfider Psychologe am Executive-Tisch skizziert hätte, wo man bei den postmaterialistischen Eltern von heute den Hebel ansetzen muss.

Und so kaufen wir glücklichen Erste-Welt-Eltern neben Fair-Trade Bananen und Bio-Datteln noch die Pampers Windeln und ersticken das schlechte Gewissen mit der Idee, gleich noch ein potentielles Tetanus-Opfer gerettet zu haben.

Procter & Gamble wollte Gutes tun. Die Wachstumsstrategie hat’s korrumpiert. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Reorgs

Ein leidiges Thema jeder multinationalen Unternehmung: Reorganisationen. Gibt es eine Umbesetzung in der Führungsriege, braucht es selbstverständliche gewisse Footprints der neuen Koryphäe in spe. Man muss spüren, dass was geht. Also werden fleissig neue Kästchen gezeichnet – manche aus Gründen, welche zum Zeitpunkt der Lageanalyse eigentlich vernünftig erscheinen. Andere als – nun ja – Freundschaftsdienst. Man muss schliesslich sein Netzwerk pflegen.

So kommt es, dass neue Strukturen nach kurzer Zeit schon wieder veraltet sind. Eine permanente Zumutung für Leute, die glauben, Beständigkeit sei auch ein Wert. Ihnen werden zum Trost semantische Monstrositäten vorgesetzt, welche die Vorteile der Reorganisation erläutern sollen. Beispielsweise diese hier, sinngemäss übersetzt aus dem Englischen:

„Diese Schritte werden uns befähigen, unserer Mission als Wächter des finanziellen Resourcen gerecht zu werden, und klassenbeste Leistung entsprechend unserer Ziele hinzulegen.“

Schaut man daraufhin nach, was denn für Ziele definiert wurden, erfährt man bahnbrechendes, wie zum Beispiel:

„Wir handeln als Befähiger zur Lieferung von Resultaten, welche den Zielen unserer Einheit entsprechen.“

Die New Joiners in der Organisation sind jeweils entzückt. Mit Kopfnicken lauschen Sie der weisen Entscheide, die da verkündet werden. Doch spätestens nach der dritten Rochade kommen leise Zweifel auf: War die erste Version soviel schlechter als die letzte? Und weshalb ähnelt das neue Set-up so verblüffend der früheren Konstellation?

Es ist der Sieg des Bullshit-PR-Jargons über die Idee, dass Sprache Inhalte übermitteln soll; über ein Sprachverständnis, das den Anspruch hat, etwas sinnvolles mitzuteilen.

Weitere Bullshitschmankerl sind willkommen.

The Corporate Life

Dies ist ein Blog für all die Mitarbeitenden bei globalen Unternehmen, denen hin und wieder der Gedanke kommt, in einem doch bemerkenswerten Auswuchs der Marktwirtschaft mitzuarbeiten.

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