Goldman Sachs im Spätkapitalismus

Es gab doch einigen Aufruhr dieser Tage, nachdem Greg Smith seine angestaute Abscheu über seinen ehemaligen Arbeitgeber Goldman Sachs in der New York Times veröffentlichte. Er beklagt den Niedergang der Firmenkultur, zersetzt von rücksichtslosem Profitstreben, das die Kunden zu nützlichen Idioten im Kampf um die fettesten Erträge macht. Eine Pervertierung der Daseinsberechtigung einer Firma. Oder die Quintessenz der „Shareholder Value“ Ideologie?

In jedem globalen Unternehmen gibt es eine verlorene Unschuld, die irgendwann zum Vorschein kommt. Es ist die Schattenseite des Wettbewerbs, welcher für unsern Wohlstand so bestimmend ist. Stichworte der jüngsten Vergangenheit: Apple/Foxconn, Nestle/Bottled Life. Der Weg zu mehr Gewinn führt über die selektive Missachtung ethischer Standards.

Und wie gehen die Angestellten mit diesem unangenehmen Faktum um, wenn sie nicht wie Greg Smith der Finanzbranche den Rücken kehren? Sie schweigen. Jedes Grossunternehmen kultiviert seine Omerta, welche wie ein unausgesprochenes Gesetz die Menschen davon abhält, morgens im Büro die neueste Negativschlagzeile ihrer Firma zu diskutieren.

Die Empörung über Goldman Sachs rührt deshalb nicht nur aus der Verurteilung moralischer Verkommenheit. Sie speist sich auch aus der Projektion. Smith’s Anklage erlaubt es uns, die Entrüstung über kapitalistische Auswüchse auszudrücken, wozu uns in Bezug auf die eigene Firma meist der Mut fehlt. Denn ein bisschen von Goldman Sachs steckt in jedem Unternehmen.

Da ist der Versicherungskonzern, der seinen Kunden die Autoversicherung nur im Dreijahresvertrag anbietet, und damit ein kurzfristiges Abspringen zur günstigeren Konkurrenz verhindert.

Oder der Finanzdienstleister, der mit dem Aufkommen der Gratiskreditkarte zwar auch eine solche ins Angebot nimmt, sie jedoch nicht an die grosse Glocke hängt, um die sprudelnde Gebührenquelle nicht vorzeitig versiegen zu lassen.

Im globalen Wettbewerb wird nicht mit Samthandschuhen Geld verdient. Goldman Sachs mag zur Zeit den Gipfel der Niedertracht repräsentieren. Sie ist jedoch nicht die einzige Firma, für welche gilt: Erst kommt der Bonus, dann die Moral.

The Corporate Life

Dies ist ein Blog für all die Mitarbeitenden bei globalen Unternehmen, denen hin und wieder der Gedanke kommt, in einem doch bemerkenswerten Auswuchs der Marktwirtschaft mitzuarbeiten.

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